Zwischen Gesellschaft und Staat: die Kategorie‚ Ergänzungssprache‘ aus belgischer Sicht

Torsten Leuschner (Gent) p.187-213

2024 Iss 1

Abstract

Während die Rolle des Deutschen als Ergänzungssprache in der Literatur bisher vor allem aus Sicht des nordöstlichen Europa betrachtet worden ist, wird in dem vor-liegenden Beitrag die belgische Perspektive eingenommen. Dies bietet sich an, weil Belgien laut Verfassung drei Amtssprachen (Niederländisch, Französisch, Deutsch) mit jeweils klar umrissenen geographischen Geltungsbereichen, den sog. Sprachgebieten, hat. Die Frage stellt sich, ob die Stellung von Deutsch in den nicht-deutschen Sprachgebieten Belgiens die Kriterien für den Status als Ergänzungssprache erfüllt und, falls die Antwort negativ ausfällt, welchen Mehrwert die Kategorie ‚Ergänzungssprache‘ in Belgien ansonsten haben könnte. Zur Beantwortung wird zunächst überblicksweise die Stellung des Deutschen in der ‚organisierten Mehrsprachigkeit‘ Belgiens dargestellt und gezeigt, dass dem Deutschen in den nicht-deutschen Sprachgebieten Belgiens keine Ergänzungssprachenfunktion zu¬kommt. Um die Kategorie ‚Ergänzungssprache‘ dennoch für Belgien brauchbar zu machen, wird erwogen, sie nicht wie bisher soziolinguistisch im Sinne einer ‚gesellschaftlichen’ Ergänzungssprache zu definieren, sondern sprachenrechtlich im Sinne einer ‚staatlichen‘ Ergänzungssprache. Eine entsprechende Ergänzungssprachenregelung für Belgien müsste auch die anderen beiden Amtssprachen berücksichtigen, scheint politisch aber dennoch auf absehbare Zeit aussichtslos. Inzwischen könnte sich die Kategorie ‚Ergänzungssprache’ zunächst wie im Baltikum in der bekannten ‚gesellschaftlichen’ Lesart als Referenzkategorie im Sprachmarketing bewähren, um die Stellung von Deutsch als Fremdsprache in den nicht-deutschen Sprachgebieten Belgiens zu stärken.

The role of German as an ‘additional language’ (Ergänzungssprache) has been approached mainly from a North-Eastern European vantage point in the literature so far. The present article, by contrast, adopts the Belgian perspective. This seems a natural choice given that the Belgian constitution divides the country’s territory into three linguistically delineated regions with respectively Dutch, French and German as the sole official language, thus raising two questions: does German perhaps function as an ‘additional language of society’ (gesellschaftliche Ergänzungssprache) in the two non-Germanophone regions? If not, what added value might the category of ‘additional language’ yet bring to the Belgian context? The article begins with a survey of the role, both official and practical, of German in Belgian multilingualism, demonstrating that German is in fact a foreign language in the non-Germanophone regions and is far from functioning as an additional language of society. Another way of rendering the traditionally sociolinguistic concept of ‘additional language of society’ useful for Belgium, would be to re-define it in legal terms as ‘additional language of the state’ and to include Dutch and/or French as well as German as respective additional languages of the regions in any future settlement for an ever more federalized Belgium. While this may look like the final squaring of the circle for German, a reality check suggests that such plans will remain politically unrealistic for the foreseeable future. In the meantime, ‘additional language of society’ could serve as a reference for campaigns and activities designed to strengthen both the marketing of and the demand for German in the non-Germanophone regions of Belgium, analogous to suggestions made in the literature with regard to the Baltic countries.