Irina Gradinari (Berlin) p.5-25
2014 Issue 3
Sondernummer zum Thema: “Späte Trümmerfilme und ‚Neotrümmerfilm‘: Wiederkehrende Traditionen des Weimarer Kinos und der Romantik als Metaphern der Nachkriegskrise”
Gastherausgeberin: Martina Moeller (Rabat)
Abstract
Der bedeutende, aber heute kaum noch bekannte Film Schicksal aus zweiter Hand des Regisseurs Wolfgang Staudte setzt sich mit dem Nationalsozialismus in einer für die westdeutsche Erinnerungskultur ungewöhnlichen Form auseinander: der Parabel. Am Fall eines Mordes aus Eifersucht wird ein Bild der bürgerlichen Ordnung entworfen, das zugleich die Möglichkeitsbedingungen des nationalsozialistischen Regimes untersucht. Wie legt Staudte die Manipulierbarkeit des Bürgertums und die seiner Ordnung inhärente strukturelle Gewalt in diesem Film frei? Welche Rolle spielen hierbei Klassen- Differenzen? Wir werden im Rahmen einer close viewing-Analyse sehen, dass in diesem Zusammenhang romantische Motive verwendet werden, um die bürgerliche Ordnung und die (männliche) bürgerliche Subjektivität zu entwerfen. Wie verweisen diese Motive auf den diskurs-historischen Zusammenhang der Gewaltmomente, um sie einer Kritik zu unterziehen und ästhetisch zu dekonstruieren? Das Bürgertum und der Nationalsozialismus stehen in diesem Film in einer Kontinuität – im Gegensatz zu den meisten Trümmerfilmen, die die Zeit des NS-Regimes als Bruch mit der Bürgerlichkeit semantisieren. Dadurch greift Staudte auch die westdeutsche Nachkriegsgesellschaft an, die die ersehnte Normalität in der Adenauer-Ära mit Hilfe konservativer Bilder des Bürgertums aus der Vorkriegszeit wiederherzustellen versucht.