Beata Paškevica (Nationalbibliothek Lettlands, Riga) p.142-151
2020 Issue 3
Sondernummer zum Thema: Mehrsprachigkeit – Transkulturalität − Identitäten
Gastherausgeber: Ewald Reuter (Tampere/Wolgograd)
Abstract
Die Nationalbibliothek Lettlands bewahrt mehr als 500 herrnhutische Handschriften aus Livland in lettischer und deutscher Sprache, die infolge der missionarischen Tätigkeit der herrnhutischen Brüdergemeine im 18. und im 19. Jahrhundert entstanden sind. Die Kon- textualisierungsarbeit der Manuskripte führte die Autorin zu der Erkenntnis, dass die Wirkung der herrnhutischen Missionare auf die indigene Bevölkerung Livlands (Letten und Esten) als ein transkultureller Vorgang analysiert werden kann, wenn man das Haupt- ziel dieser missionarischen Tätigkeit in der Heranführung des Gottesreichs sieht, ganz gleich, an welchem Ort des Planeten diese Missionierung erfolgt ist. Die in diesem Sinne geführte Missionsarbeit im lettischen Livland hat maßgeblich zur Förderung der Bildung der vorwiegend als Bauern im Abhängigkeitsverhältnis zum Gutsbesitzer stehenden lettischen Bevölkerung beigetragen. Die in den herrnhutisch beeinflussten Gebieten entstandene soziale Emanzipation hat eine wesentliche Rolle beim Entstehen auch eines nationalen Zusammengehörigkeitsgefühls gespielt und dadurch einen Beitrag zur Identi- tätsformung geleistet. Die sogenannten herrnhutischen Nationalarbeiter und -arbeiterin- nen haben das Lesen und Schreiben erlernt, damit sie ihre Lebensläufe, Lieder, Erbauungsliteratur und andere Texte abschreiben und auch neu verfassen könnten. Die Zugehörigkeit zur herrnhutischen Gemeinde konnte als ein sozialer Aufstieg genutzt werden, was zur Bildung einer eigenen indigenen „Literaten-“ und Unternehmer-Schicht führte.
The National Library of Latvia holds more than 500 Herrnhutian manuscripts from Livonia in Latvian and German, which stemmed from the missionary activity of the Herrnhutian Brotherhood in the 18th and 19th centuries. The contextualization work of the respective manuscripts led the author to the conclusion that the Herrnhutian missionary work on the indigenous population of Livonia (Latvians and Estonians) could indeed be described as a transcultural process, especially when the main goal of the missionary activity is to be seen in the preparation of the Kingdom of God, no matter where on the planet this missionary work is being done. In this sense the work carried out played a crucial role in promoting the education of the predominantly Latvian farmers who were dependent on the landowners. In the regions which were influenced by Herrnhutians, social emancipation played an important role in the emergence of a national sense of belonging and thereby contributing to the formation of identity. The so-called Herrnhutian national workers acquired reading and writing skills so they were able to copy or write down their biographies, songs, devotional literature and other texts. The affiliation to the Herrnhutian community could be used as social emancipation thus leading to the formation of an own indigenous “literate” and entrepreneurial class.