DDR-Deutsch – Wendedeutsch – Westdeutsch als Gesamtdeutsch: Der Wandel des Sprachgebrauchs in den neuen Bundesländern.

Ruth Reiher & Antje Baumann (Berlin) p.1-14

2004 Issue 2

Abstract

Sprachwandel sowie Sprachgebrauchswandel sind äußerst langwierige Prozesse, deren Dauer man gewöhnlich in Jahrzehnten oder gar Jahrhunderten misst.
Obwohl seit der Vereinigung Deutschlands kaum 14 Jahre vergangen sind, hat sich jedoch im Osten Deutschlands ein Wandel des Sprachgebrauchs vollzogen, der alle Bereiche des gesellschaftlichen Lebens umfasst und nahezu alle sprachlichen Ebenen betrifft. Auf der sprachlichen Oberfläche sind die Veränderungen des Sprachgebrauchs zu einem gewissen Abschluss gekommen. Die so genannten Neubundesbürger haben sich im öffentlichen Bereich den Normen und Mustern der „Prestigevarietät Westdeutsch“ weitgehend angepasst, während sich in privaten Situationen die in der DDR geprägten Sprachformen und kommunikativen Verhaltensweisen länger zu halten scheinen. Dazu gehört z.B. – als Folge spezifischer Sozialisationsbedingungen – ein ausgeprägtes Insistieren auf kollektive Werte, so wie es sich nicht nur in privaten, sondern auch in halböffentlichen und z.T. sogar öffentlichen Gesprächsrunden offenbart. Der Beitrag erhellt einzelne Phasen und Aspekte dieses Wandlungsprozesses und wirft einen kritischen Blick auf die theoretischen Prämissen und das methodische Instrumentarium der Linguistik. Dass das andere sprachliche Verhalten der so genannten Neubundesbürger häufig als defizitär betrachtet und mit einem Negativurteil bewertet wird, ist auch dem methodologischen Ansatz zuzuschreiben, wonach der Sprachgebrauch der Ostdeutschen in Relation zu den westdeutsch geprägten Mustern und Normen beschrieben wird.