Ewald Reuter (Tampere, Finnland) p. 132-162
2024 Issue 3
Abstract
Durch eine selektive Lektüre der gegenwärtigen Forschungsliteratur wird im Beitrag eine Antwort auf die Frage gesucht, ob eine geschlechtergerechte Sprache wirklich nur inklusiv oder nicht auch exklusiv wirken kann. Eine erste Erörterung des Themas belegt, dass die Forschungsfrage zugleich eine Moralfrage ist, in der unausweichlich Urteile über gutes und schlechtes Handeln mitschwingen (1.1). Danach wird ausgeführt, dass die Forschungsfrage von einem auslandsgermanistischen Standort aus betrachtet wird, an dem wegen der genuslosen finnischen Sprache Debatten über Gendern nahezu unbekannt sind (1.2). Nach einer Kurzporträtierung von Radikal- und Intersektionalfeminismus (2.1) werden im Anschluss an die genderlinguistische Diskussion die sprachsystemischen Möglichkeiten und Grenzen feministischer Sprachreformen erörtert (2.2). Am Beispiel von zwei umfangreichen sozialwissenschaftlichen Untersuchungen wird das Kernproblem der sozialen Exklusion durch sprachliche Inklusionsbemühungen bestimmt, welches darin besteht, dass die gesellschaftliche Mehrheit das Gendern ablehnt, weil man sich erstens durch so genannte Eliten bevormundet fühlt und zweitens der Ansicht ist, dass andere Maßnahmen marginalisierte Minderheiten vermutlich nachhaltiger in die Gesellschaft integrieren als das Gendern. Aktuelle Umfragen bestätigen diese Befunde (3.). Weiter stellt sich heraus, dass das Thema der Gendersprache mit dem Thema der Identitätspolitik verschränkt ist, die beide in den Geistes- und Sozialwissenschaften ziemlich kontrovers diskutiert werden (4.). Das Fazit fordert dazu auf, auch in der Auslandsgermanistik die Entwicklung der deutschen Gendersprache wissenschaftlich objektiv zu beobachten und in der Lehre ohne moralischen Konformitätsdruck zu behandeln (5.).