Janine Ludwig (Bremen/Berlin) p.68-86
2021 Issue 1
Sondernummer zum Thema: Zum „Prinzip Erinnerung“ in der deutschsprachigen Gegenwartsliteratur – Ausgewählte Textanalysen.
Herausgegeben von Carsten Gansel, Anna Heidrich (Gießen) und Mariya Kulkova (Kasan)
Abstract
Bernd Schirmer hat im Laufe eines Vierteljahrhunderts mehrere Wenderomane verfasst: In den 1980er-Jahren schrieb er Cahlenberg (1994), 1992 in kurzer Zeit Schlehweins Giraffe, in den 2000er-Jahren Der letzte Sommer der Indianer (2005) und dann zehn Jahre lang an dem vorerst letzten: Silberblick(2017). Im Vergleich dieser Werke lässt sich herausarbeiten, wie sich mit dem Vergehen von Zeit der erzählerische Blick bzw. der Fokus auf die Ereignisse ändert, und zwar inhaltlich, bezogen auf die umfasste Zeitspanne der erzählten Zeit, wie auch formal-ästhetisch, also im Einsatz von Erzähltechniken und Erzählerposition. Während der erste Roman, Cahlenberg, direkt aus der Zeit heraus die Ahnung anbrechender Veränderungen in der DDR atmet, erzählt der zweite von den Umbruchserfahrungen im Zuge der deutschen Wiedervereinigung, mit eingeschobenen Rückblicken auf die Zeit davor. Der dritte beschreibt einen multi-perspektivischen Liebes- und Bruderkampf zwischen Ost und West im gerade wiedervereinigten Land und endet mit einem Epilog, der diese Zwistigkeiten in das Reich alter Legenden verweist. Der vierte spielt wieder größtenteils in der DDR und beschwört die Erinnerung an eine tote Jugendliebe herauf. Man kann quasi beobachten, wie historische Erfahrung zu Erinnerung gerinnt.